Fluviale Geomorphologie, Sedimenthaushalt

Der Aufgabenbereich „Fluviale Geomorphologie und Sedimenthaushalt“ hat die langfristige Entwicklung der Fließgewässer im Blick und analysiert die Quellen, Transportpfade und Senken des Sedimentes. Wir berücksichtigen dabei, dass die Entwicklung eines Fließgewässerabschnitts nicht allein von den lokalen, heutigen Bedingungen abhängig ist, sondern dass sich Veränderungen der Fließgewässer in und entgegengesetzt der Fließrichtung ausbreiten und die Anpassung an neue Rahmenbedingungen sehr schnell (innerhalb weniger Stunden), aber auch sehr langsam (über mehrere Millionen Jahre) erfolgen können.

Diese Kenntnisse sind für ein nachhaltiges Sedimentmanagement der Bundeswasserstraßen von großer Bedeutung, um verschiedenste Nutzungsanforderungen an und deren Auswirkungen auf Fließgewässer im Allgemeinen und an Bundeswasserstraßen im Speziellen im Einklang zu bringen. So sind neben den Anforderungen der Schifffahrt die Wasserqualität und Ökologie von großer Bedeutung. Die Sedimente treten dabei als von der Strömung beeinflusstes gewässerbettbildendes Material in Erscheinung, aber auch als Lebensraum für Organismen oder als Träger von Nähr- und Schadstoffen.

Sedimentfrachten im Rhein
Entwicklung von Abfluss und Trübung am Rhein bei Koblenz im Jahr 2018. Die Trübung wird als Indikator für Schwebstoffe gemessen. Bei Hochwässern im Januar/Februar steigen Abfluss und Trübung gleichzeitig an. Bei Starkregen und Hochwasser werden aus dem Einzugsgebiet zunehmend Schwebstoffe in die Flüsse eingetragen. Bei extremem Niedrigwasser im Juli steigt die Trübung – trotz fallendem Abfluss. Grund sind organische Schwebstoffe (Algenblüte).

Um Sedimentmanagementstrategien zu entwickeln, müssen Herkunft und Verbleib der Sedimente in den Flüssen ermittelt werden. Bei der Bilanzierung des Sedimenthaushalts sind die Einträge aus dem Einzugsgebiet und den Nebenflüssen zu berücksichtigen. Weitere Einflussgrößen sind Ablagerung und Erosion innerhalb der betrachteten Fließstrecke und der Austrag in die unterstrom gelegenen Bereiche. Regelmäßig durchgeführte Messungen stellen dabei eine wichtige Grundlage dar. Die BfG untersucht seit vielen Jahren den Sedimenttransport und das Sohlmaterial im Binnen- und Küstenbereich.

Zur Interpretation der Daten ist ein Verständnis der zugrundeliegenden Prozesse notwendig. Aus diesem Grund untersucht das Referat M3 in Zusammenarbeit mit Universitäten und Forschungslaboren vertieft einzelne Prozesse wie Flockung oder Erosion feinkörniger Sedimente. Neben Fragestellungen zur Auswirkung von Baumaßnahmen und Baggerungen bzw. Umlagerungen von Sedimenten ist der Einfluss von Klimaänderungen oder veränderter Landnutzung im Einzugsgebiet auf den Sedimenthaushalt zu betrachten. Dazu werden nicht nur die Messdaten ausgewertet, sondern auch numerische Modelle eingesetzt, die die Strömungs- und Sedimenttransportverhältnisse in den Gewässern unter wechselnden Randbedingungen vorhersagen können.

Diagramm
Koblenz/Rhein: Trübung als Funktion des Abflusses im Jahr 2018. Das Trübungs-/Abfluss-Verhältnis kehrt sich im Hitzesommer bei Niedrigwasser um, hervorgerufen durch die Algenblüte bei hohen Wassertemperaturen und geringer Fließgeschwindigkeit.

Ein wichtiges Aufgabengebiet im Kontext der Sedimentbilanzierung ist die Methodenentwicklung, bei der die Vereinheitlichung und Automatisierung von Feststoffmessungen im Vordergrund steht. Mit dem Ziel eines effizienten Sedimentmonitorings werden Methoden zuv Plausibilisierung, Analyse und Management der Daten entwickelt und für den Wirkbetrieb in der WSV erprobt. Mittels Echtzeit-Analyse von Messwerten können in kürzester Zeit Informationen zur Schwebfracht in den Bundeswasserstraßen bereitgestellt werden – wie beim Sommer-Niedrigwasser des Jahres 2018 am Rhein (s. Abbildungen). Ein weiterer Fokus liegt auf Verfahren zur Messung des räumlich und zeitlich variablen Schweb- und Geschiebetransports. Sie sollen die WSV-Messnetze zum Schwebstoff- und Geschiebemonitoring optimieren und die Kohärenz der langjährigen Zeitreihen des Feststofftransports gewährleisten. Dabei entwickelt das Referat M3 seine Methodenexpertise laufend nach dem internationalen Stand der Forschung weiter. Dazu betreibt die BfG auch eine Testmessstelle am Rhein, die gleichzeitig Bestandteil des WSV-Schwebstoffdauermessnetzes ist.

Sedimentbilanz des Rheins

Die BfG hat im Rahmen einer KHR-Studie eine Sedimentbilanz des Rheins erstellt, und zwar

  • für den gesamten Lauf von der Quelle in den Schweizer Alpen bis zur Mündung in die Nordsee
  • für den Zeitraum von 1991 bis 2010
  • getrennt nach verschiedenen Kornfraktionen.

Die in der Studie abgeleitete Sedimentbilanz bietet eine gute Datenbasis für die Verbesserung numerischer Prognosemodelle, die Optimierung von Verklapp-, Bagger- und Überwachungsstrategien sowie um Wissenslücken zu identifizieren und Forschungsagenden festzulegen. Die Untersuchungen wurden gemeinsam mit dem Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft der RWTH Aachen University durchgeführt, mit Beiträgen von Rijkswaterstaat, des WSA Duisburg-Rhein und der KHR/CHR. Dabei wurden Daten bereits bestehender Studien verwendet, um eine zusammenhängende morphologische Sicht auf das Rheineinzugsgebiet zu erhalten. Das zu bilanzierende Gebiet war der Flussschlauch des Rheins. Die Studie kommt zu folgenden Schlüssen:

  1. Die Sedimentflüsse im Rhein variieren entlang des Längsprofils aufgrund regionaler Senken und Quellen.
  2. Von seiner Quelle zur Mündung durchquert der Rhein vier Abschnitte mit fundamental unterschiedlichem morphodynamischem Verhalten: den alpinen, den staugeregelten, den frei fließenden und den Delta-Abschnitt.
  3. Die maximalen Sedimentfrachten werden im Alpenrhein, oberhalb des Bodensees, erreicht. Die Tonfraktion weist hier und im gesamten Längsschnitt die höchsten Frachtraten auf.
  4. Im gesamten Einzugsgebiet ist der anthropogene Eintrag die größte Quelle für Kies und Steine. Die größte fluviale Sedimentquelle für Ton, Schluff und Sand sind die Nebenflüsse des Rheins. Zusätzlich führt das Meer dem unteren Rheindelta große Mengen an Ton, Schluff und Sand zu.
  5. Eine Hauptsedimentsenke für alle Kornfraktionen sind Baggerungen. Ablagerungen in Überschwemmungsebenen und Häfen sind große Sedimentsenken für Schluff und Ton. Der Sedimentaustrag in die Nordsee ist begrenzt.
  6. In den oberen Flussabschnitten herrscht Nettoablagerung vor, in den Abschnitten stromabwärts Nettoerosion, wobei lokal eine hohe Variabilität besteht.
  7. Es werden mehr Sedimente von der Nordsee in das Rheindelta transportiert als umgekehrt.
  8. In den oberen Stromabschnitten treten mehr Sedimentverluste durch Ablagerungen in Überflutungsgebieten auf als im Rheindelta.
  9. Die heutigen Sedimentflüsse im Rhein werden stark von Flussregulierungsarbeiten der Vergangenheit sowie von Baggerungen und Zugaben beeinflusst.
  10. Dessen ungeachtet bestimmen natürliche Faktoren die Position der wichtigsten Sedimentationsgebiete.
  11. In vielen Flussabschnitten wird Kies abgelagert, während gleichzeitig Sand erodiert wird
  12. Die Bilanzanalyse zeigt, dass die Dynamik von Sedimenten in Flüssen viel größer ist, als Echolotungen oder Transportmessungen vermuten lassen.
  13. Sie sie zeigt ebenfalls, dass Sand eine dominante Rolle in der Morphodynamik des Rheins spielt – nicht nur in den Sand-, sondern auch in den Kiesbett-Abschnitten.
Sedimentfrachten im Rhein
Mittlere Sediment-Jahresfrachten 1991 – 2010 mit 40-%-Unsicherheitsband für Kies/Steine (2 – 125 mm), Sand (0,063 – 2 mm) und Ton/Schluff (< 0,063 mm). Ein Teil der Sedimentfracht fließt in das IJsselmeer, der Rest in die Nordsee (Hillebrand & Frings, 2017)

Eine Sedimentbilanz beschreibt die Massenbilanz (I – O = ΔS) zwischen Sedimenteintrag (I), Sedimentaustrag (O) und Sedimentspeicherung (ΔS) eines bestimmten Gebiets innerhalb eines definierten Zeitraums. Sedimentbilanzen erlauben, die Sedimentflüsse sowie die Quellen und Senken der betreffenden Sedimente zu identifizieren und quantifizieren. Die EU-Wasserrahmenrichtlinie fordert, die Einzugsgebiete europäischer Flüsse als Ganzes und damit grenzübergreifend zu betrachten. Der Sedimenthaushalt und die bestehende Erosions- und Sedimentationsproblematik am Rhein werden schon seit vielen Jahren mit Hilfe von Sohlpeilungen und Sedimenttransportmessungen untersucht und beschrieben. Darüber hinaus liegen umfangreiche gesteinskundliche Analysen der Rheinsohle zwischen Iffezheim und der deutsch-niederländischen Grenze aus über 40 Jahren vor. Die bisherigen Untersuchungen gaben jedoch keine ausreichenden Antworten auf Fragen zur Herkunft der Sedimentfrachten im Rhein, zum Verbleib der erodierten Sedimentfrachten oder zur Verknüpfung der morphologischen Prozesse oberstrom und unterstrom miteinander. Zur Beantwortung mussten die Daten integral, über Deutschland hinaus, für das gesamte Rheineinzugsgebiet betrachtet werden. Dies ist nur mit einer Sedimentbilanz möglich.

Contact

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. Weitere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den folgenden Link: Datenschutz