Fließgewässermodellierung
Wasserstandsinformation für Bundeswasserstraßen – auch zwischen Pegeln möglich?
Die WSV betreibt entlang der großen Flüsse zahlreiche Pegel zur Messung des Wasserstands und veröffentlicht z. B. am Rhein für 29 dieser Messstellen tagesaktuelle Werte in ihrem Gewässerkundlichen Informationssystem. Bis zum am weitesten stromabwärts gelegenen deutschen Pegel in Emmerich (Rhein-km 852) ergibt sich somit eine Datendichte von etwa einem Pegel auf 30 km Gewässerstrecke. Viele Fragestellungen der WSV und der Wasserwirtschaftsverwaltungen, z. B. im Hochwasserschutz, der Wasserstandsvorhersage, der Raum- und Umweltplanung, benötigen jedoch Wasserstandswerte in höherer Auflösung. Das Messnetz zu verdichten, wäre aufgrund des damit verbundenen Aufwands eine teure Alternative – nicht nur am Rhein, sondern auch an allen anderen Bundeswasserstraßen.
Die Lösung heißt: mathematische Abflussmodelle. Die BfG entwickelt und betreibt derartige Modelle seit den 1970er Jahren, um die Wasserstands- und Abflussverhältnisse an den Bundeswasserstraßen beschreiben und analysieren zu können. Während kontinuierliche Messungen nur an wenigen Orten – den Pegeln – durchführbar sind, schließen mathematische Abflussmodelle diese Informationslücken und liefern – als eine Art „virtuelle Pegel“ – durchgängige homogenisierte Abflüsse und Wasserstände für jeden beliebigen Punkt entlang eines Gewässers.
Hierbei interessiert nicht nur die heutige Situation. An den häufig stark vom Menschen geprägten Wasserstraßen werden auch die gewässerkundlichen Verhältnisse der Vergangenheit untersucht, da sie den Blick auf den weitgehend naturnahen Zustand der Gewässer eröffnen. Dazu passen Experten die Modelle so an, dass sie die Gewässer im Zustand vor dem Eingriff des Menschen abbilden. Darüber hinaus werden mathematische Abflussmodelle zur Ermitllung möglicher zukünftiger Zustände eingesetzt. Schwerpunkte sind hier kurzfristige Vorhersagen (Niedrigwasser, Ablauf von Hochwasserwellen), die Abschätzung der überregionalen Wirkung Hochwasser reduzierender Maßnahmen (HW-Aktionsplan der IKSR, EU-Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie) oder langfristige Projektionen (Schiffbarkeit in Folge des Klimawandels, Projekt KLIWAS).
Längsschnitt der Mosel mit Hochwasserschutzanlagen und Hochwassermarken (Klicken zum Vergrößern)
Zur Abflussmodellierung setzte die BfG bis in die 1990er Jahre zwei Berechnungsansätze ein: ein stationäres Verfahren für die Berechnung von Wasserspiegellagen und ein hydrologisches Verfahren zur Beschreibung des Wellenablaufs. Heute sind es zeitgemäße, hydrodynamisch-numerische Modellsysteme, die die räumlich und zeitlich veränderliche Strömungssituation im Gewässer mit Hilfe mathematischer Gleichungen (instationäre Berechnung) beschreiben. Großräumig angelegte Fragestellungen erfordern häufig, mehrere hundert Kilometer einer Wasserstraße zu modellieren. Hier kommen so genannte eindimensionale Modelle zum Einsatz, die den Fluss vereinfacht über den Abflussquerschnitt integiert als Linie betrachten. Dagegen beschreiben aufwändigere, zweidimensionale Modelle Wasseroberfläche und tiefengemittelte Strömungsgrößen räumlich differenziert. Wachsende Rechenleistung und Fortschritte bei der Modelltechnik ermöglichen es heute, zweidimensionale Modelle auch für große Gewässerstrecken anzuwenden.
Die BfG setzt für ihre großräumigen hydrologischen Untersuchungen das selbst entwickelte eindimensionale hydrodynamische Modell WAVOS-1D sowie das von Deltares (NL) entwickelte Modellierungspaket SOBEK ein.
Partner und Auftraggeber der BfG sind die WSV sowie nationale und internationale Flussgebietsgemeinschaften und -kommissionen. Dabei findet stets eine enge Zusammenarbeit mit den Wasserwirtschaftsverwaltungen der beteiligten Länder, weiterer Behörden und verschiedenen Forschungseinrichtungen statt. Der weit gefächerte, interdisziplinäre Modelleinsatz und die interne und externe Zusammenarbeit führen zu einer ständigen Verbesserung der Modellqualität.